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6. Umma (Gemeinschaft)
6,1 Allgemein
Sachgemäß ist es zu sagen:
l Nach dem
Koran steht der Begriff Umma als Korrelat zu milla (Lehre). Somit
ist Umma eine Gemeinschaft, die einer bestimmten Lehre verpflichtet ist. Es ist
also zulässig, von einer jüdischen Umma, einer christlichen Umma, einer
islamischen Umma oder einer abrahamitischen Umma (einer Gemeinschaft der
Anhänger einer monotheistischen Lehre) zu sprechen.
l Die Umma von
Medina, die – wie bereits ausgeführt – durch das Abkommen von Medina 622 n. Chr.
ins Leben gerufen wurde, umfasste sowohl die Muslime, wie auch die dort lebenden
Juden, die nach diesem Vertrag ebenso als „Umma“ bezeichnet wurden. Der Vertrag
von Medina war auch durch die gleichberechtigte Akzeptanz der jüdischen und
islamischen Religion gekennzeichnet.
l Das
wichtigste konstituierende Moment war der Glaube an einen einzigen Gott (tauḥīd).
l Jedes
Mitglied dieser Gemeinschaft war zu ihrem Schutz verpflichtet und hatte die
volle Verantwortung für die Gesamtheit der Umma. Nach freiem Willen der
Gemeindemitglieder wurde die organisierende Gesamtverantwortung Muhammad
übertragen, ohne dass dadurch die persönliche Verantwortung des einzelnen
aufgehoben wurde.
l Praktische
Schwierigkeiten bei der Umsetzung dieses Idealmodells führten im Laufe der Zeit
zu Umstrukturierungen, die auch die Christen in die Umma einbanden. Die
Grundlage des Zusammenlebens blieb zwar weiterhin der Eingottglaube; das
öffentliche Leben wurde aber von islamischen Prinzipien bestimmt; in der
islamischen Wirtschaft, in gesellschaftlichen und rechtlichen Normen.
Ausgenommen waren die privatrechtlichen und religiösen Bereiche.
l Die
Orientierung an der Grundnorm der Gottausgerichtetheit des ganzen Lebens
bedeutete, dass nicht nur rituelle Handlungen, sondern das gesamte private und
öffentliche Leben – auch die Gemeindeführung – als eine Form gottbezogener,
gottesdienstlicher Handlung verstanden wurde. In dieser Grundnorm war kein Raum
für die Unterscheidung in einen sakralen und profanen Bereich des Lebens.
l Die Führung
der Gemeinde und die Gesellschaft ist nicht zu verstehen als Aufspaltung in
Herrscher und Beherrschte, sondern im Sinne der gemeinsamen Verantwortung aller
Umma-Mitglieder.
l Die
zunehmende Islamisierung der Umma und der Gemeindeführung führte in der
Folgezeit dazu, dass Juden und Christen von der Verantwortung für die Gemeinde
und deren Schutz befreit wurden. Sie standen aber als „Schutzbefohlene“
weiterhin unter dem Schutz der islamischen Gemeindeführung. Analog zur
Pflichtabgabe (zakāt) der Muslime waren sie zu einer Schutzabgabe (ǧizya)
verpflichtet.
l Eine so
konstituierte Gemeinschaft wurde seit ihrer ersten Entstehung 622 n. Chr. in
Medina (622 - 632) von Elementen getragen und mit Phänomenen verbunden, die
Anlass zu Fragen, Einwänden und auch sehr viele Vorurteilen gegeben haben.
Vergleichbare Einwände haben in der Geschichte auch andere auf religiöse
Prinzipien gegründete Gemeinschaft hervorgerufen – z. B. Quäker-Siedlungen usw.
l Die Fragen,
Einwände und Vorurteile gegenüber der islamischen Umma berühren vor allem die
inneren Bereiche des islamischen Rechts (Scharia), der Führung der
Gemeinschaft bzw. dasVerhältnis zwischen Religion und Staat, den Status der
Minderheiten und die Stellung der Frau. Was die Beziehung zu nichtislamischen
Gemeinschaften betrifft, so berühren die Widersprüche und Fragen vor allem die
Bereiche der Ausbreitung des Islams, Dschihad, Missionierung und Diaspora.
(Siehe dazu im einzelnen die nachfolgenden Kapitel.)
Unsachgemäß ist:
l die
islamische Gemeinschaft als eine Fortsetzung der tribalistischen Lebensweise
ohne eigene Originalität zu charakterisieren, die mit jüdischen und christlichen
Elementen verflochten sei;
l die
spezifisch islamischen Besonderheiten nach den eigenen christlichen Normen zu
interpretieren, die schematisch auf den Islam übertragen werden.
Zu weiteren Einzelaspekten siehe die nachfolgenden Kapitel.
6.2 Der islamische Staat
Sachgemäß ist es zu sagen:
l Die Umma ist
im Sinne der Gottorientiertheit aufgebaut. Ihre Funktion liegt hauptsächlich
darin, einen Rahmen zu schaffen, in dem jeder einzelne „islamisch“, also „auf
Gott ausgerichtet“ leben kann. Dazu gehört auch, das Leben und den Besitz der
Umma-Mitglieder zu schützen.
l Alle
Mitglieder der Umma sind für die Verwirklichung der islamischen Ordnung
gleichermaßen verantwortlich. Die Gemeinschaft soll von allen getragen werden.
In diesem Sinne ist auch die Erhaltung der Ordnung eine religiöse
Aufgabe.
l Nur in diesem
Sinne kann von einer Einheit von Religion und Staat gesprochen werden; nicht
gemeint ist damit die Machtübernahme eines bestimmten Personenkreises.
Parallelen aus der abendländischen Geschichte (Kirchenstaat, Fürstbistümer) sind
irreführend.
l
Organisatorisch wurde nach dem Vorbild der Gemeindebildung von Medina die
Hauptverantwortung für die Gemeinschaftsordnung an bestimmte Personen (Kalifen)
delegiert, die auch in ihrer persönlichen Lebensführung Vorbild sein mussten.
Diese Teilung der Verantwortung sollte nicht zu einer Spaltung in Herrscher und
Beherrschte führen. Deshalb blieb die Gesamtverantwortung weiter in den Händen
aller Mitglieder der Umma.
Unsachgemäß ist:
l die Einheit
von Religion und Staat im Islam als eine Machtkonzentration bei den
Funktionsträgern, nicht jedoch als eine Einheit der Funktion zu verstehen;
l den
Staatsbegriff einer säkularen Gesellschaftsform, die die gegebene
Gesellschaftsordnung als rein weltliche Angelegenheit ohne religiösen
Legitimationsbedarf betrachtet und Religion als Privatangelegenheit ihrer
Mitglieder, zum Maßstab zu nehmen. Damit wird die islamische Sichtweise
verkannt, alle Handlungen für die Gemeinschaft als Ausdruck deer
religiösen Verantwortung jedes einzelnen Mitglieds anzusehen;
l die
islamische Umma, für die die gemeinsame Verantwortung aller Mitglieder maßgebend
ist, mit einer aus der abendländisch-christlichen Tradition abgeleiteten
Theokratie gleichzusetzen. Der Islam kennt nämlich kein besonderes Priestertum
u. ä.; alle Gläubigen sind gleichrangig.
6.3 Scharia (šarīͨa)
6.3.1 Begriffserläuterung
Sachgemäß ist es zu sagen:
l Scharia
(wörtlich: Weg) meint den Weg zur Verwirklichung der Einheit von Glaube und
Handeln, der ausführlich in der islamischen Glaubens- und Pflichtenlehre
dargestellt wird.
l Häufig wird
unter diesem Begriff die Gesamtheit der Vorschriften, welche die Handlungen des
Menschen im privaten und öffentlichen Leben betreffen, verstanden. Die
Gleichsetzung Scharia = „Islamisches Recht/Gesetz“ kann Anlass zu
Missdeutungen geben, wenn die Begriffe „Recht“ und „Gesetz“ im säkulären Sinne
verstanden werden.
l Im
islamischen Verständnis sind die Vorschriften für die Gläubigen nicht
Selbstzweck, sondern ein Stück Glaubenspraxis, also Hilfen zur Verwirklichung
der Gottausgerichtetheit. Scharia ist der alle Lebensbereiche umfassende Weg der
Praktizierung des Glaubens, wie anderseits der Glaube als prägende Geist und
Inhalt der Scharia gilt.
l In diesem
Sinne regelt die Scharia alle Lebensbereiche:
Rituelle Handlungen, die unter dem Begriff der „Fünf
Säulen“ als Handlungen des Herzen zusammengefasst sind; Familien-, Erb-,
Handels- (Wirtschafts-), Zivil- und Strafrecht sowie Regeln der Wiedergutmachung
von Schäden, der Rechtsprechung usw. (insgesamt mehr als 50 verschiedene
Sachgebiete).
l Der Koran und
die Hadithe (Überlieferungen von Sunna/authentischen Anweisungen und
Handlungen des Propheten Muhammad) liefern die Grundsätze für dieses im Laufe
der Zeit entstandene, vielfältige und umfangreiche Rechtssystem. Es ist die
Leistung islamischer Rechtsgelehrter gewesen, die (vorwiegend zwischen 700 – 900
n. Chr.), daraus allgemeingültige Rechtsprinzipien entwickelt haben.
l Die
Ausarbeitung des Rechtssystems führte zur Herausbildung verschiedener
Rechtsschulen im Islam. Ihre Entstehung und Entwicklung verdanken sie einer
immanenten Dynamik, aus:
- tiefer Kenntnis über die gesellschaftlichen, politischen,
wirtschaftlichen und kulturellen Verhältnisse der jeweiligen Zeit und Umgebung
- der Aufgeschlossenheit gegenüber den daraus entstandenen
Problemen,
- der Fähigkeit, wissenschaftliche Grundsätze zu
postulieren, die es ermöglichten, aus den Primärquellen – Koran und Sunna –
immer wieder neue Lösungsmöglichkeiten zu erschließen,
jeweils Antworten auf neue Zeitfragen zu finden.
l Die heute
noch von der Anhängerschaft her bedeutendsten Rechtsschulen sind:
1. die hanifitische Schule (benannt nach Abu
Hanifa, 699 – 767)
2. die malikitische Schule (nach Malik ibn Anas,
715 – 795)
3. die schafiitische Schule (nach as-Schafii,
767 – 820)
4. die hanbalitische Schule (nach Ahmad ibn
Hanbal, 780 – 855)
5. die imamitische Schule, die bedeutendste
Rechtsschule der Schia, deren Hauptautorität
der Urenkel Muhammads, Imam Dschafar as-Schadiq
(gest. 765) gewesen ist. Nach ihm
wird diese Schule auch dschafaritisch
genannt.
l In der
islamischen Welt ist ein Prozess zu beobachten, der, basierend auf der
wissenschaftlichen Tradition der Rechtsgelehrten, die Krise der letzten 200
Jahre zu überwinden bestrebt ist; in vielen gesellschaftlichen und privaten
Bereichen konnten bereits Erfolge bei der Entwicklung neuer Rechtsnormen erzielt
werden, vor allem in Hinblick auf die Stellung der Frau und die Wahrung der
Rechte der Menschen.
Unsachgemäß ist:
l bei der
Beurteilung der Scharia von einem engen Verständnis der Begriffes auszugehen und
die Scharia gleichzusetzen mit „islamischem Gesetzbuch“, und dies wiederum
ausschließlich auf das Strafrecht zu reduzieren; die Scharia als negativ,
mittelalterlich hinzustellen und sogar die Abschaffung zu fordern;
l die Vielfalt
der Scharia nicht zur Kenntnis zu nehmen sowie die Differenziertheit und auch
den großen Spielraum, die die Scharia dem Menschen zuspricht, um sein eigenes
Leben frei und zeitgemäß zu gestalten, unbeachtet zu lassen;
l das ständige
Bemühen der islamischen Gelehrten zu ignorieren, welche die innere Kraft des
islamischen Rechtsdenken mobilisieren, um dem gesellschaftlichen Wandel in der
islamischen Welt nach islamischen Grundsätzen gerecht zu werden oder sogar die
einseitige Adaption westlicher Rechtsnormen zu fordern. Dies gilt insbesondere
in den Bereichen Familienrecht, Strafrecht, Wirtschaftsrecht und öffentliches
Recht.
6.3.2 Scharia – die fünf Säulen (arkān)
Sachgemäß ist es zu sagen:
l Alle
Handlungen des Menschen sollen vom Geist der ͨ ibāda (= des
Gottesdienstes) geprägt sein und in diesem Sinne vollzogen werden.
l De facto ist
aber in der islamischen Rechtslehre ͨ ibāda zum Begriff für rituelle
Handlungen geworden. Die im folgenden näher erläuterten haben besondere
Bedeutung, weil sie das alltägliche Verhältnis des Menschen als Individuum und
Mitglied der Gemeinschaft zu Gott bestimmen.
l Die Sechs
Glaubensartikel garantieren die Einheit des Glaubens aller Muslime. Sie sind
gleichzeitig die Grundlage eines islamischen Lebens:
I. der Glaube an den Einen Gott
II. der Glaube an Gottes Gesandten und Mohammad als den
letzten Gesandten
III. der Glaube an die von Gott geoffenbarten Bücher und
den Koran;
IV. der Glaube an Gottes Engel;
V. der Glaube an das Leben nach dem Tode;
VI. der Glaube an die göttliche Vorsehung
l Die Fünf
Säulen sind:
I. Die šahāda (= Glaubensbekenntnis; entspricht
den ersten beiden Glaubensartikel);
II. Das fünfmal täglich zu verrichtende rituelle
Pflichtgebet (ṣalāt), dem die obligatorische
rituelle Reinigung (wuḍū'), die einen
Weihezustand eröffnet, vorausgeht;
III. die Pflichtabgabe (zakāt);
IV. das Fasten (ṣaum) im Monat Ramadan;
V. die Wallfahrt nach Mekka (ḫaǧǧHadsch).
l Allen
arkān gemeinsam ist eine horizontal-gesellschaftliche, die Umma
zusammenbindende Dimension. Gleichzeitig haben die Fünf Säulen eine
vertikal-göttliche Dimension. Somit steht die Umma auch in einer direkten
Beziehung zu Gott, was erklärt, warum die „Rechte der Umma“ auch „Rechte Gottes“
genannt werden.
l Damit die
rituellen Handlungen nicht zu einem formalen Akt degradiert werden, obliegt es
jedem Muslim, vor Beginn jeder dieser Handlungen seine Gesinnung und Absicht (niyya)
leise oder im Herzen zum Ausdruck zu bringen, dass diese bestimmte Handlung, z.
B. die Abgabe einer Zakat-Summe, nur geschieht, um Gott näher zu kommen (qurbatan
ilā Allah). Diese niyya ist Ausdruck der innerlichen Dimension der
Handlung.
Unsachgemäß ist:
l die
Unterstellung, dass es sich bei den Fünf Säulen um rein äußerliche, mechanisch
auszuführende Vorschriften handelt, deren korrekt auszuführender, normierter
Ablauf und nicht eine auf Gott ausgerichtete Gesinnung entscheidend ist;
l die rituellen
Handlungen als Zeichen blinder Unterwerfung unter Gott zu interpretieren;
l die fünf
Säulen als Ausdruck einer „gesetzlichen“ , am Leistung-Lohn-Denken orientierte
Religiosität zu bewerten („Werkgerechtigkeit“). Die arkān machen aus dem
Islam keine „Gesetzesreligion“, sondern gelten als Ausdruck göttlicher raḥma/Barmherzigkeit,
welche die Rechtleitung des Menschen fördert und der der sich der Mensch
freiwillig anheim stellt;
l den Islam als
eine „Religion der Öffentlichkeit, nicht der Innerlichkeit“ (J. van Ess) zu
disqualifizieren. Zwar wird durch die Betonung der Verantwortung der Muslime für
Umma der öffentliche Aspekt stark herausgestellt. Aber auch diese Öffentlichkeit
ist ihrerseits wiederum als religiöse Gemeinschaft immanent mit Gott verbunden.
Den islamischen religiösen Handlungen jedwede „Innerlichkeit“ als Ausdruck einer
gefühlsmäßigen Bindung an Gott abzusprechen, verkennt das Wesen des Islam
gänzlich.
6.3.3 Scharia – Strafrecht
Sachgemäß ist zu sagen:
l Über die
Verpflichtung, das Leben zu schützen, sagt der Koran:
Wenn jemand
einen Menschen tötet, ohne dass dieser einen Mord begangen hätte oder ohne dass
ein
Unheil auf
der Erde geschehen wäre, so soll es so sein, als hätte er die ganze Menschheit
getötet; und
wenn jemand
einem Menschen das Leben erhält, so soll es so sein, als hätte er der ganzen
Menschheit
das leben
erhalten. (Sure 5,32)
Diese in völligem Gegensatz zu früharabischen
Geringschätzung des Lebens stehende Verpflichtung zum Schutz jedes Lebens
schließt auch die ein, die vor Gericht stehen.
l Zur Erhaltung
der islamischen Ordnung und nicht aus Rachegelüsten und Vergeltungssucht legt
der Koran auch Strafen fest. Allerdings umfasst das Strafrecht in der Scharia
nur ca. 3 Prozent aller Rechtsnormen. Manche von ihnen werden heute oft als zu
hart und unmenschlich angesehen. Es ist aber dabei zu berücksichtigen, dass ihre
Verhängung entweder an fast unrealisierbare Bedingungen des Tatnachweises
geknüpft ist – so muß beispielsweise der Geschlechtsverkehr beim Ehebruch durch
vier (!) Zeugen mit eigenen Augen (!) beobachtet worden sein – oder mit der
eindringlichen Aufforderung verbunden ist, auf die Anwendung der Strafe zu
verzichten. Denn auch Gott verzeiht dem Schuldigen und vergibt dem Leidtragenden
dessen Schuld, wenn dieser ebenfalls großmutig (beispielsweise bei einem
Mordfall) ist. Außerdem ist von der Anwendung der Strafe abzusehen, wenn der
Täter Reue zeigt.
lHeute gibt es
in der gesamten islamischen Welt, besonders aber unter den ägyptischen
Gelehrten, die Tendenz, die Formulierungen zeitgemäß zu deuten und die Anwendung
harter Strafmaßnahmen zu unterbinden; auch in den Ländern, die sie in letzter
Zeit aus politischen Gründen, weniger aus islamischer Überzeugung heraus,
praktiziert haben.
Unsachgemäß ist:
l die „innere
Logik“, den Begründungszusammenhang des islamischen Rechts bei der Beurteilung
spektakulärer Einzelphänomene unberücksichtigt zu lassen;
l bei der
Beurteilung des islamischen Strafrecht mit seinen Strafen (Hände abhacken,
Auspeitschen u. ä.) ähnliche Strafen für Kapitalverbrechen in anderen religiösen
Traditionen ebenso zu verschweigen wie auch die Anwendung der Todesstrafe,
beispielsweise in den USA und der Prügelstrafe im britischen Strafrecht;
l zu
ignorieren, dass der Koran bestrebt ist, die Anwendung harter Strafen weitgehend
zu unterbinden durch das Gebot zur Verzeihung oder durch nahezu unerfüllbare
Bedingungen für den Nachweis der Straftat.
6.4 Die Stellung der Frau
Sachgemäß ist es zu sagen:
l Die Frage
nach der Stellung der Frau ist eine familie- und gesellschaftsbezogene Frage.
Sie impliziert gleichzeitig die Frage nach der Stellung des Mannes und danach,
welchen Stellenwert und welche Rechte und Pflichten beide Geschlechter in der
Gesellschaft und miteinander haben.
l Die westliche
Vorstellung vom islamischen Frauenbild ist bestimmt von einer islamischen
Frauenfeindlichkeit. Diese negative Vorstellung im Westen wird genährt durch die
weit verbreitete Realität in islamischen Gesellschaften und die gängige
Rechtspraxis: Phänomene wie Vorrang des Mannes in der Familie, Polygamie,
einseitiges Scheidungsrecht, Ausschluss der Frau aus dem gesellschaftlichen
Leben, das alleinige Fürsorgerecht des Mannes für die Kinder nach der Scheidung,
sowie die falsche Übersetzung des Koranverses 4.34, dass "Männer über den Frauen
stehen".
l Bereits seit
dem 19. Jahrhundert werden in den islamischen Ländern, auch unter dem Einfluss
der Frauenbewegung im Westen, kontroverse Diskussionen über diese Phänomene
geführt. Diese haben zu einem größeren Verständnis darüber geführt, was von den
oben genannten Phänomenen kulturabhängig und was originär islamisch ist. Viele
Erfolge zugunsten der Frau bzw. zur Unterbindung der Willkür des Mannes konnten
bereits erzielt werden.
l Die
eigentliche Basis für die Verbesserung der Stellung der Frau liefert dabei der
Koran, vorausgesetzt, dass traditionelle Interpretationen infrage gestellt
werden und der Koran selbst nach seinem Konzept dafür befragt wird.
l Hauptanliegen
des Korans ist es, in einer Zeit, in der nicht nur auf der arabischen Halbinsel,
sondern in nahezu allen Kulturen die Entrechtung der Frau die vorherrschende
gesellschaftliche Tendenz war, der Frau eine gleichwertige Stellung einzuräumen.
Bezeichnend dafür ist das koranische Verbot, weibliche Säuglinge zu töten. Der
Erfolg ist jedoch dadurch beschränkt geblieben, dass sich die traditionellen,
vom Koran bekämpften, Gesellschaftsstrukturen wieder festigen konnten. Auch
erreichte Teilerfolge wurden wiederholt - nicht überall - verletzt.
l Koranische
Ansätze zur Verbesserung der Stellung der Frau sind: Es gibt keinen
Wertunterschied zwischen Mann und Frau. Beide wurden in gleicher Weise aus einem
Wesen geschaffen:
Und es gehört zu seinen Zeichen, dass Er euch
Partner aus euch (Menschen) schuf, auf dass ihr Frieden (innere Ruhe / sukūnat)
bei ihnen fändet; und Er hat Zuneigung und Barmherzigkeit zwischen euch
gesetzt.(Sure 30.21)
In diesem Sinne heißt es allgemein in Sure 4,1:
Ihr Menschen! Fürchtet Euren Herrn, der euch aus
einem einzigen Wesen geschaffen hat, und der aus ihm einen Partner und aus ihnen
beiden viele Männer und Frauen hat (hervorgehen und) sich (über die Erde)
ausbreiten lassen.
l Auch von
einer Verführung Adams durch Eva ist im Koran nicht die Rede. Im Gegenteil: Nach
Sure 20,120 flüstert Satan dem Adam ein: „O Adam, soll ich dich auf den Baum der
Ewigkeit hinweisen?“
l Der Islam
bestimmt die Stellung des Individuums stärker aus seiner Einbindung in die
Gemeinschaft. Als kleinste Einheit dieser Gemeinschaft kommt der Familie eine
besondere Bedeutung zu: nicht im Sinne der Kleinfamilie westlicher Prägung,
sondern als Verband der verwandtschaftlich verbundenen Großfamilie/Sippe.
l Hieraus
leitet sich auch die Aufgabe der beiden Geschlechter ab: Während der Mann die
Familie nach außen in der Gesamtgemeinschaft vertritt und er allein (und nicht
die Frau, selbst wenn sie vermögend ist) die Verpflichtung zu Fürsorge und
Schutz für die ganze Großfamilie hat, kommt der Frau die Aufgabe zu, den
Familienverband zu festigen und zu stärken. Hieraus leitet sich auch die
besondere Treuepflicht der Frau wie des Mannes ab.
l In
Übereinstimmung damit gilt in der Ehe für beide Partner eine gegenseitige
Verpflichtung zum Schutz der Persönlichkeit:
Sie (eure Frauen) sind (wie) ein Gewand für euch
und ihr seid (wie) ein Gewand für sie. (Sure 2.187)
l Die
finanzielle und soziale Verpflichtung des Mannes ist im Islam sehr groß. Es ist
seine Aufgabe, in jeder Hinsicht für ein standesgemäßes Leben seiner Frau zu
sorgen (nach dem Stand, den sie aus ihrem Elternhaus gewöhnt ist - bis hin zur
Einstellung von Dienstpersonal); daneben in gleicher Weise für Kinder, Eltern
und nahe Verwandte (Geschwister) auch der Frau, falls diese seine Hilfe
bedürfen. Die Frau hingegen, die uneingeschränkt und selbständig über ihr
Eigentum verfügen kann, ist nicht verpflichtet, etwas beizusteuern.
l Diese
Verpflichtung des Mannes fasst Sure 4,34 in Kurzform wie folgt zusammen:
Die Männer sind verantwortlich für die Frauen.
Verantwortlich für sämtliche Lebensbelange der Frau
(standesgemäßer Lebensunterhalt, Kleidung, Wohnung usw.) Diese Verantwortung
wird sodann begründet:
Dadurch, dass Gott die einen von ihnen den
anderen gegenüber mit Vorzügen ausgestattet hat und dadurch, dass die Männer von
ihrem Vermögen für die nafaqa (= Lebensbelange) der Frauen aufkommen.
l Wenn im Koran
von einem Vorrang des Mannes vor der Frau die Rede ist (wobei beiden
gleichermaßen jeweils besondere Vorzüge zugestanden werden - vgl. Sure 4,32),
wird dies aus der eben benannten große Verantwortung begründet; der Mann
verliert diese Vorrangstellung in dem Moment, wenn er nicht mehr in der Lage
ist, seiner sozialen Verantwortung nachzukommen; der Vorrang ist also
ausschließlich funktional begründet. Ebenso steht der Frau in ihrem
Verantwortungsbereich ein funktionaler Vorrang gegenüber dem Mann zu.
l Nach
koranischem Verständnis hat der Mann kein Recht, der Frau Befehle zu erteilen,
außer in religiösen Angelegenheiten; andererseits hat auch die Frau die
Verpflichtung, ihren Mann bei religiösen Verfehlungen zurechtzuweisen:
Die gläubigen Männer und Frauen tragen
Verantwortung für einander (baͨ
ḍuhum anliyā´baͨ ḍ). Sie gebieten das
Rechte und verbieten das Verwerfliche. (Sure 9,71)
Außer dem Recht auf sexuelle Beziehungen (dieses Recht gilt
für beide) kann der Mann von seiner Frau rechtlich nichts verlangen, auch
keinerlei Dienste. Die Frau hingegen darf für jede Dienstleistung, sogar für das
Stillen der eigenen Säuglinge, vom Mann Geld fordern. Die prägnante Formulierung
eines zeitgenössischen saudischen Gelehrten - „Die Arbeit der Frau zuhause ist
eine ṣadaqa (Almosen) an den Ehemann und die Kinder“ (was eine freiwillige Gabe
bedeutet) - zeigt, wie wenig Ansprüche der Mann gegenüber seiner Frau geltend
machen kann.
l Zu einem aus
dem Koran abgeleiteten Recht zur Züchtigung der Frau (es handelt sich um den
zweiten Teil des oben zitierten Koranverses 4,34) ist zu sagen: Die
Misshandlung von Frauen durch ihre Männer war zur Zeit Muhammads weit
verbreitet. Diese Praxis wird von Muhammad entschieden bekämpft. Die Bedeutung
seines Verbotes, die Frauen zu schlagen, betonte er oft, insbesondere bei seiner
letzten öffentlichen Rede vor seinem Tode, nach seiner letzten Wallfahrt.
l Wenn der
Ehemann seiner Fürsorge- und Schutzverletzung gegenüber der Familie nicht
nachkommt (nušūz = sich auflehnen gegen jemanden), hat die Frau das Recht,
öffentlich vor Gericht gegen ihn Klage zu führen. Im Falle der Auflehnung der
Ehefrau gegen ihren Mann - gemeint ist nur Untreue oder Veruntreuung seines
Vermögens - verlangt der Koran (Sure 4,34) zum Schutz des guten Rufs der Frau in
der Öffentlichkeit zunächst eine Beilegung des Streites innerhalb der Familie.
Selbst in diesem - aus der Sicht des Koran - das Familienleben zerstörenden Fall
soll das Problem zunächst durch „wirksame Gespräche“ (wa z = Predigten) gelöst
werden, was sicher in den meisten Fällen Erfolg versprechen dürfte. Sollte dies
nich der Fall sein, schlägt der Koran die Anwendung eines weiteren
psychologischen Druckmittels vor: Durch Liebesentzug („meidet sie im Ehebett“)
soll der Mann seiner Gattin deutlich zeigen, dass er die Verletzung seiner
Rechte (eheliche Treue und sorgsamer Umgang mit seinem Besitz) nicht hinnehmen
wird. Bleibt auch dieser Weg (der einige Zeit in Anspruch nimmt) erfolglos,
deutet das auf eine Zerstörung der Familiengefühle bei der Frau hin. Auch in
diesem Fall ist eine Misshandlung der Frau verboten. Die letzte Konsequenz
dürfte dann die Scheidung sein. Und weil dies aus koranischer Sicht als eine
verpönte Handlung gilt, legt der Koran einen letzten Rettungsversuch nahe.
Dieser wird durch einen Begriff formuliert, der scheinbar das genannte
Misshandlungsverbot auf den Kopf stellt: „Schlagt sie“
(faḍribuhūnna).
… Und jene, deren Widerspenstigkeit ihr
befürchtet: ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch
dann gehorchen (auf Untreue und Veruntreuung verzichten), so sucht gegen sie
keine Ausrede. (Sure 4,33)
l Bereits seit
kurz nach dem Tode Muhammads beschäftigte dieser Widerspruch die Muslime. Sie
lösten ihn mit der Deutung, dass hier ein nichtschmerzender Schlag (ḍarban ġayra
mubariḥin) gemeint sei, der symbolisch die Unzufriedenheit ausdrücken soll. Ibn
ͨAbbās, der Vetter des Propheten, der von allen Muslimen als der beste
Korankenner akzeptiert wird, demonstrierte diesen Schlag, der in Wirklichkeit
nur eine Geste sein darf, folgendermaßen: Er schlug mit seiner kleinen hölzernen
Zahnbürste auf den Handrücken. „So ist es gemeint“ - kommentierte er diesen
Koranvers. Damit wird deutlich, dass der Koran selbst bei - nach seinem
Verständnis sehr ernsten - Verfehlungen der Frau eine Misshandlung ablehnt. Die
auch unter Muslimen verbreitete Rechtfertigung von Tätlichkeiten gegenüber der
Frau aus dem Koran widerspricht insgesamt der Intention des Koran.
Unsachgemäß ist:
l die z. T.
verbreitete Praxis der Unterdrückung der Frau bis hin zur körperlichen
Misshandlung aus dem Koran sowie die Gleichsetzung der gesellschaftlichen
Verhältnisse in verschiedenen islamischen Ländern aus der Lehre des Islam
abzuleiten;
l die
gesellschaftlichen, geographischen, ethnischen, geschichtlichen und
wirtschaftlichen Hintergründe, die das Verhältnis zwischen den Geschlechtern
mitprägen, außer Acht zu lassen und Einzelphänomene zu generalisieren. (Die
islamische Frau gibt es ebenso wenig wie die christliche, die
jüdische usw.)
l bestimmte,
bei Muslimen häufig zu beobachtende Phänomene wie strikte Geschlechtertrennung,
Betonung der weiblichen Ehre, Verbannung der Frau aus dem gesellschaftlichen
Leben, monokausal aus dem Islam abzuleiten. Ähnliche Einstellungen finden sich
nachweisbar auch in den südlichen, christlich geprägten Agrarregionen der
europäischen Mittelmeeranrainerstaaten;
l zu negieren,
dass viele durch patriarchalische Gesellschaftsstrukturen in den islamischen
Ländern bedingte Fehlentwicklungen in Widerspruch zum Koran stehen;
l das sich
unter dem Begriff der Emanzipation entwickelte individualisierte Frauenbild im
westlichen Abendland (auch dort nicht überall) als Maßstab für die Bewertung des
Islam zu benutzen und dabei sowohl die eigene - nicht immer rühmliche -
christliche Traditionsgeschichte und deren Frauenbild als auch Gesamtrealität zu
ignorieren;
l bei der
Beurteilung der Beziehungen der Geschlechter zueinander die große Verpflichtung
des Mannes (besonders im finanziellen Bereich) zugunsten der Frau zu ignorieren;
l die Elemente
der wirtschaftlichen Selbständigkeit der islamischen Frauen
(Alleinverfügungsrecht über ihr Vermögen), über die sie von Anfang an - also
weit früher als etwa ihre europäischen Geschlechtsgenossinnen - verfügten, zu
übersehen;
l Die
Behauptung aufzustellen, dass die islamische Frau kein Recht auf Ausbildung und
Übernahme von gesellschaftlichen Funktionen hat;
l aus der
Tatsache, dass die Frau nach islamischem Erbrecht nur Anspruch auf die Hälfte
des Erbe hat, was seinen Grund in der alleinigen finanziellen Belastung
des Mannes hat, ihre gesellschaftliche Minderwertigkeit zu schlussfolgern;
l die seit dem
19. Jhd. im Islam von zahlreichen ReformerInnen in Gang gebrachten Innovationen
(besonders bezüglich Polygamie und Scheidungspraxis) zu übersehen;
l den
Schleierzwang der Frau als koranische Vorschrift zu deuten. Die koranische
Kleidervorschrift, welche die Bedeckung von Körper und Kopf empfiehlt zielt auf
den Schutz der Frau vor Demütigung und Entehrung, nicht jedoch auf ihre
Erniedrigung und Aussonderung aus der Gesellschaft.
6.5 Dschihad – Der „heilige“ Krieg
Sachgemäß ist zu sagen:
l Der Begriff
Dschihad (Ǧihād, wörtlich: Anstrengung, Abmühen, Einsatz) findet
sich bereits in den ersten mekkanischen Offenbarungen, in der noch keine Rede
von Kriegen war.
Gehorche
nun nicht den Ungläubigen (den Polytheisten), sondern setze dich damit (d.h. mit
dem Koran)
mit großen
Einsatz (= großem Ǧihād) auseinander (Sure 25,52)
l Der Wortstamm
ǧ-h-d verweist in seiner nominalen und verbalen Form auf einen geistigen,
gesellschaftlichen Einsatz. Das Wort Ǧihād bezeichnet in erster Linie
eine entschlossene geistige Haltung. Ausgehend von dieser Grundbedeutung
bezeichnete Dschihad in medinensischer Zeit (vermutlich ab den 2. Jahr
der Hidschra) den Einsatz für den Islam schlechthin, mit der Betonung auf den
Einsatz von Vermögen und Leben (vgl. auch Sure 8,72).
l Wesentlich
ist, dass Dschihad von seinem Wortstamm her weder „Krieg führen“ noch
„töten“, also in diesem Sinne nicht „Aggression“ beinhaltet, wie dies dagegen
beim Wortstamm q-t-l (Kriegführen, töten)/(qitāl = Schlacht) der
Fall ist. Die Zuordnung der Begriffe „eigenes Leben“ und „Vermögen“ in die
Inhaltsbestimmung des Wortes lässt keinen Zweifel daran, dass Dschihad
die Selbstaufopferung und die Opferung des eigenen Vermögen für Gott meint, was
gleichzeitig seine religiöse Komponente ausmacht. Entsprechend wird dieser
Begriff im Koran nicht auf konkrete Schlachten bezogen wie dies bei qitāl
der Fall ist.
l Obwohl
qitāl keinesfalls als allgemeine Regel galt, sondern nur auf die
Schutzverpflichtung der Umma beschränkt war, gelten für ihn stark einschränkende
Regeln:
-
Krieg darf nur gegen Angreifer geführt werden, also
ausschließlich zu Verteidigung und Schutz;
-
dabei darf nicht übertrieben werden, zum Beispiel also
nicht aus Rache getötet werden;
-
er darf nur für die Sache Gottes geführt werden, also
nicht aus materiellen Gründen;
-
er muss sofort beendet werden, wenn sich der Angreifer
zurückzieht. (vgl. Sure 2,190-193)
l Es
widerspricht dem koranischen Wesensgehalt von Dschihad, ihn als „heiligen
Krieg“ aufzufassen. Auch qitāl, der Krieg zum Schutz der islamischen Umma,
ist kein „Heiliger Krieg“. Krieg ist aus islamischer Sicht nie „heilig“; selbst
der Verteidigungskrieg ist ein notwendiges Übel.
l Im Gegensatz
zur koranischen Intention erhielt der Dschihad in der Zeit nach Muhammads
Tod einen anderen Stellenwert: Weltliche Kämpfe und Kriege um wirtschaftliche
und politische Macht erhielten eine „religiöse Weihe“, wurden zu einem
Dschihad hochstilisiert, vergleichbar den „christlichen“ Kreuzzügen.
l Dagegen hat
Muhammad im Sinne des Koran einer Überlieferung zufolge zwischen einem „kleinen“
und einem „großen“ Dschihad unterschieden: Während die Opferung von
Vermögen und Leben für die Verteidigung als „kleines Dschihad“ bezeichnet wird,
gilt der „große Dschihad“ dem Kampf gegen die eigenen Fehler und schlechten
Eigenschaften.
l Entsprechend
dem Begriffsfeld von Dschihad, das in seiner umfassenden Form jede große
Anstrengung für ein gottgefälliges Ziel umfasst, mit einem ähnlichen Spektrum
wie das deutsche Wort „Kampf“ („Kampf gegen Analphabetentum“ = moralisch
hochstehende Handlung; dagegen – nicht gottgefällig - : „Kampf um die
Alleinherrschaft“), unterscheiden heute islamische Autoren mit Vorliebe drei
Erscheinungsformen des Dschihad:
- persönliche Opfer gegen einen äußeren Feind;
- Kampf gegen die eigenen schlechten Neigungen;
- Kampf für die Verwirklichung höherer Werte.
l In der
modernen islamischen Diskussion erfährt Dschihad (in seiner
religiös-moralischen Wortfeldbestimmung) sowohl eine Belebung als auch eine neue
Interpretation:
- Befreiungskampf gegen Kolonialmächte
- Kampf gegen ungerechte Herrscher und Systeme, die eine
Abhängigkeit von fremden Mächten und Unterdrückung zur Folge haben;
- Einsatz für die Erneuerung auf wirtschaftlichem,
gesellschaftlichem und kulturellem Gebiet.
l Als „Einsatz
für eine gottgefällige Tat“ wird Dschihad auch verwendet, um die
islamischen Massen zu verschiedenartigen Erneuerungen zu motivieren.
Unsachgemäß ist:
l Dschihad
mit „Heiliger Krieg“ zu übersetzen. Diese Wortverbindung ist zwar in der
christlichen Kirchengeschichte geläufig, nicht jedoch im Islam. Dieser kennt im
Zusammenhang mit Krieg keinen analogen Begriff (weder im Wortfeld von
Dschihad, noch von ḥarb oder qitāl) der sprachwissenschaftlich
korrekt mit „heilig“ übersetzt werden könnte;
l zu
unterstellen, dass nach koranischem Verständnis der Dschihad als Mittel
zur gewaltsamen Verbreitung des Islam oder zur Bekehrung der „Ungläubigen“
verstanden wird;
l der Koran mit
einem „Kriegshandbuch“ gleichzusetzen, das angeblich die Ausbreitung des Islam
„mit Feuer und Schwert“ verlangt;
l wenn heute
politisch motivierte Kriege unter dem Deckmantel des Dschihad geführt
werden oder solche Kriege als religiös bestimmte Kriege bezeichnet werden. Es
entspricht auch nicht dem koranischen Verständnis von Dschihad, wenn sich
sogar Terrororganisationen diesen Namen geben. Falsch ist es, solche Aktionen
als islamisch legitimierbare Handlungen zu bezeichnen.
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