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7. Islam und Minderheiten
Sachgemäß ist es zu sagen:
l In der ersten
medinensischen Umma (Gemeindevertrag von Medina) wurden nicht-islamische
Minderheiten – vor allem jüdische Stämme – als gleichberechtigte Umma-Mitglieder
integriert. Es gehörte zu ihrem selbstverständlichen Recht, weiterhin ungestört
ihre Religion auszuüben.
l Auch nach dem
Bruch des Gemeindevertrages hatten die nicht-islamischen Minderheiten weiterhin
das Recht auf Glaubensfreiheit; als Bewohner der Umma wurden die Nichtmuslime
allerdings der Schutzverantwortung der islamischen Gemeindemitglieder
unterstellt (die allein die Verantwortung für den Schutz der Umma hatten) und
mussten dafür eine Schutzsteuer bezahlen.
l Bemerkenswert
ist die Tatsache, dass im Koran (Sure 9,60) Angehörige christlicher Stämme in
Nadschran als zakāt-Empfänger genannt werden, der Sonst nur Muslime
zustand:
Wahrlich,
die wohltätige Abgaben sind nur für die Armen und Bedürftigen und für die mit
Verwaltung
(der wohltätige Abgabe) Beauftragten, und für die, deren Herzen gewonnen werden
sollen (gemeint
hier christliche Stämme von Nadschrān), für die (Befreiung von) Sklaven und für
die Schuldner, für die
Sache Allahs und die Reisenden;
l Ebenfalls
bemerkenswert und für die Folgezeit maßgebend ist die Tatsache, dass der Koran
den Muslimen – trotz aller Differenzen im Glauben – in der allerletzten Phase
seiner Offenbarung die versöhnliche Koexistenz mit den Schriftbesitzern
vorschreibt:
Heute sind euch die guten Dinge (zu essen) erlaubt. Und was desjenigen essen,
die (vor euch) die Schrift erhalten haben, ist für euch erlaubt, und (ebenso)
war ihr esst, für sie. Und (zum Heiraten) sind euch erlaubt die ehrbaren
gläubigen Frauen und die ehrbaren Frauen (aus der Gemeinschaft) derer, die vor
euch die Schrift erhalten haben…
l Geprägt von
diesem koranischen Geist ist der Vertrag, den der zweite Kalif Umar mit den
Christen in Jerusalem abgeschlossen hat:
Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen! Dieser Vertrag gilt für alle
christlichen Untertanen, Priester, Mönche und Nonnen. Er garantiert ihnen
Schutz, wo immer sie sich befinden… Derselbe Schutz wird der christlichen
Kirche, ihren Häuptern und Pilgerstätten zugesichert, ebenso denen, die diese
Stätten aufsuchen… und allen jenen, die den Propheten Jesus anerkennen. Diese
alle verdienen Rücksichtsnahme, da sie zuvor durch eine Urkunde des Propheten
Muhammad geehrt worden sind. Er hat unter sie ein Siegel gesetzt und uns
nachdrücklich befohlen, gütig zu ihnen zu sein.
l Die
schöpferische Zusammenarbeit im islamischen Westen (Spanien) und Osten zwischen
Juden, Christen und Muslimen auf wissenschaftlichem und philosophischem Gebiet
ist ein Beweis für die Verwirklichung der koranisch gebotenen und von Umar
verwirklichten Koexistenz.
l In der
islamischen Geschichte wurde das Gebot der religiösen Toleranz oft durch
kriegerische Auseinandersetzungen und andere Probleme überschattet.
l Besonders
unter der Umaijadenherrschaft hatten Juden und Christen hohe Staatsämter inne
und genossen großes Ansehen. Kopten besaßen jahrhundertelang das Monopol der
ägyptischen Finanzverwaltung, und ägyptische Juden waren im ausgehenden und
beginnenden 20. Jahrhundert einflussreiche Bankiers. Im Gegensatz zur
Umaijadenzeit kam es während der Herrschaft der Abbasiden vermehrt zu
Glaubensübertritten, die teilweise durch soziale und finanzielle Einschränkungen
gegenüber Nichtmuslimen verursacht waren.
Unsachgemäß ist:
l die
historische Vielfalt bei der Begegnung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen zu
ignorieren und die unterschiedliche Behandlung nichtmuslimischer Minderheiten zu
verschiedenen Zeiten unberücksichtigt zu lassen;
l die
gesellschaftliche und religiöse Ebene zu vermischen. In Glaubensdingen genossen
die sog. Schriftbesitzer völlige Freiheit. Auf der gesellschaftlichen Ebene lag
die Verantwortung für die Umma ausschließlich bei den Muslimen, woraus teilweise
eine unterschiedliche Bewertung der nichtmuslimischen Bevölkerungsgruppen
abgeleitet wurde. In diesem Zusammenhang hat die Beurteilung als „Bürger zweiter
Klasse“ ihren Sinn.
l die in
bestimmten Zeiten und Ländern zu beobachtende, politisch begründete
Unterdrückung der Christen zu verallgemeinern und als islamisch bedingt zu
kennzeichnen. Verwiesen sei hier auf die große gesellschaftliche und
wirtschaftliche Anerkennung, die Christen z.B. in Ägypten genossen und noch
genießen.
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