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letzte Änderung 03.03.2009
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3. MENSCH

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3. MENSCH

 

Sachgemäß ist es zu sagen:

 

l Wie auch bei anderen Religionen stehen die Belange des Menschen im Vordergrund des Islam.

 

l Der Islam sieht den Menschen – wie viele (mono-)Theistische Religionen, insbesondere Judentum und Christentum – als „Geschöpf Gottes“ und Statthalter Gottes auf Erden.

 

l Der Erschaffung des Menschen geht nach dem Koran der Einspruch der Engel voraus, die im Menschen ein Geschöpf sehen, das Unfrieden stiftet und Blut vergießt. Gott begegnet diesem Widerspruch, indem er dem Menschen/Adam Kenntnisse über die gesamte Schöpfung gibt und ihm damit über die Engel setzt:

      Er (Gott) sagte: „Fürwahr, Ich weiß, was ihr nicht wisst.“ Und Er brachte Adam alle Namen bei, dann

        brachte er diese vor die Engel und sagte: „Nennt mir die Namen dieser Dinge, wenn ihr wahrhaftig

        seid!“ Sie sprachen: „Gepriesen seist Du. Wir haben kein Wissen außer dem, was Du uns gelehrt hast;

        wahrlich, Du bist der Allwissende, der Allweise.“ Er sprach: O Adam, nenne ihnen ihre Namen!“ Und

        als er ihnen ihre Namen nannte, sprach Er: „Habe Ich nicht gesagt, dass Ich das Verborgene der Himmel

        und der Erde weiß, und dass Ich weiß, was ihr offenbart und was ihr verborgen gehalten habt.“ (Sure 2,30 -

        33).

 

l Zum Zeichen ihrer Unterordnung forderte Gott von den Engel, sich vor Adam niederzuwerfen. Alle außer dem Großengel Iblis, der sich für höherrangig als der Mensch hielt, folgten dieser Aufforderung. Als Konsequenz wird eine Feindschaft zwischen Iblis und den Menschen abgeleitet, die jeden Menschen ein Leben lang bedroht.

 

l Als eine der ersten Versuchungen Iblis´/des Teufels berichtet der Koran von der Verführung des Urelternpaares zum Bruch des Gottesgebotes im Paradies, sich einem bestimmten Baum zu nähern. Dieser Ungehorsam Adams hat die Vertreibung des Menschen und Satans aus dem Paradies zur Konsequenz. Adam bereut seine Sünde und Gott verzeiht ihm. Dieses Verhältnis von Reue und Vergebung ist bestimmend für das koranische Verhältnis zwischen Mensch und Gott.

 

l Das Wesen des Menschen als Geschöpf Gottes ist also gekennzeichnet von einer direkten, unmittelbaren Beziehung zu Gott.

 

l Der Mensch übernimmt die Verantwortung für die übrige Schöpfung. Er soll seine Mit-Schöpfung (Umwelt, besser: Mitwelt, zu der auch die himmlischen Wesen gehören) bewahren und nicht zerstören.

 

l In diesem Sinne wird der Mensch als ḫalĩfa (= Vertreter) Gottes charakterisiert.

 

l Bei der Beschreibung des Schöpfungsaktes demonstriert der Koran in aller Klarheit die Willensfreiheit des Menschen als unerlässliche Voraussetzung der Beziehung zwischen Gott und Mensch. (Vgl. Sure 2,30 ff.; 20,116 ff.; 7,11 ff.)

 

l Nach dem Koran ist der Mensch wegen seiner Unzulänglichkeit ständig den Versuchungen Satans ausgesetzt. Er ist daher jederzeit auf die raḥma (Barmherzigkeit) Gottes und dessen Bereitschaft zur Vergebung angewiesen.

 

l Die Größe des Menschen liegt darin, dass er sich aufgrund der ihm gewährten Willensfreiheit für Gott oder Satan entscheiden kann bzw. mit Hilfe der raḥma Gottes seine ihm bei der Erschaffung mit auf den Weg gegebenen Anlage der Gottausgerichtetheit (dĩn al-fițrah – vgl. Sure 30,29) entfalten kann.

 

l Gottes Barmheizigkeit manifestiert sich auch in seiner Fürsorge für den Menschen in allen Bereichen. Diese Fürsorge wird mit dem Begriff rabb (Herr) gekennzeichnet und bestimmt das faktische Verhältnis Gottes zum Menschen, der als ʽabd (Diener) charakterisiert wird.

 

l Der Begriff rabb implizieret auch den Gedanken der Erziehung und Rechtleitung (vgl. das hebrähische Wort „Rabbi“). Nur in  dieser Relation zu rabb ist das Wort ʽabd richtig zu verstehen. ʽAbd meint nicht „Knecht“ oder „Diener“, der zugunsten seines Herrn handelt, sondern jemanden, der zur Entfaltung seiner von Gott gegebenen Anlagen dessen umfassende Fürsorge in Anspruch nimmt.

 

l Das Vertrauen in den von Weisheit getragenen, fürsorglichen Willen Gottes hilft dem Muslim, sich vor den Ängsten gegenüber allen anderen „Mächten“ zu schützen.

 

l Eines der hauptsächlichen Missverständnisse gegenüber dem Islam gründet sich auf einer unsachgemäßen Gegenüberstellung von göttlichem und menschlichem Willen. Tatsächlich bezieht sich die göttliche Allmacht und ihr Wille auf Gottes ständige fürsorgliche Schöpferkraft, während der freie Wille des Menschen die unabdingbare Voraussetzung für die Erfüllung der ihm übertragenen Verantwortung gegenüber Gott, Mitmenschen und Mitwelt ist.

 

l Mit der Bewertung des Verhältnisses zwischen der Willensautonomie Gottes und dem freien Willen des Menschen hängt ein weiterer Problemkomplex zusammen, der zu Missverständnissen über das koranische Menschenbild Anlass gibt: das islamische Phänomen al-qaḍã´wa l-qadar (Entscheidung und Ausführung). Islamisch verstanden bedeutet dies ein ständiges Anwesendsein Gottes, das die Entscheidungen des Menschen begleitet. Es wird oft negativ als freiheitsberaubende Vorherbestimmung interpretiert und mit Fatalismus und Schicksalsgläubigkeit gleichgesetzt. Muhammad verkündete aber kein impersonales Schicksal, sondern einen personalen Schöpfergott, der sich seinen Geschöpfen fürsorglich zuwendet.

 

l Ein häufig als Beleg für das islamische Prädestinationsprinzip zitierter Koranvers (17,13) lautet im vollen Zusammenhang:

                Und jeden Menschen – befestigt haben wir ihm sein țã´ír (d. h. durch seine Taten bzw. Untaten

entstandenes Omen, Los) an seinem Hals, und heraus wollen wir für ihn holen am Tage der

Auferstehung ein Buch, das ihm geöffnet vorgelegt werden soll (und wir werden zu ihm sprechen):

Lies Dein Buch, du selbst sollst Rechenschaft über dich ablegen. Wer rechtgeleitet ist, der ist nur

rechtgeleitet zu seinem eigenen Besten, und wer irregeht, der geht irre allein zu seinem Schaden;

und nicht soll tragen eine beladene Seele noch eine andere Last. Und wir strafen nicht eher, bevor

wir einen Gesandten schickten.

 

Unmissverständlich zeigt dieser Koranvers, dass hier nicht von einem vorherbestimmten Schicksal/Kismet die Rede ist, das Gott dem Menschen aufgezwungen hat, sondern von einem durch das eigene Verhalten des Menschen mit voller Verantwortung erworbenen Los. Aus diesem Koranvers geht klar hervor, dass jedem einzelnen Menschen als einzigem Geschöpf die Verantwortung für seine freie Wahl zwischen Glaube (Rechtleitung) und Unglaube (Irrweg) übertragen worden ist. Der Vers widerspricht damit einer Erlöser-Erwartung und auch einem besonderen Priestertum.

 

l Das im Volksglauben anzutreffende Wort Kismet kann seine theologische Grundlage und Erfahrungshintergrund nur in Ereignissen haben, über die der Mensch keine Macht hat: Leben, Tod, Naturkatastrophen usw., also Ereignissen, die eine säkulare Sicht als „Zwänge“, „Zufälle“ u. ä. deutet. Der Muslim sieht sich bei Ereignissen, deren Beeinflussung nicht in seiner Macht steht, in Gottes Hand und kann so im Vertrauen auf ihn sein seelisches Gleichgewicht wahren und ohne Angst leben.

 

 

Unsachgemäß ist:

 

l das Verhalten des Menschen zu Gott als ein Knecht-Herr-Verhältnis zu deuten, bei dem der Herr für seinen eigenen Vorteil seinen Diener mit – für diesen nicht immer einsichtigen – Aufgaben betraut;

 

l aus diesem Herrn-Knecht-Verhältnis darüber hinaus ableiten, dass ein mächtiger Herr den Menschen unterwirft, ihm seine Kleinheit ständig vor Augen führt und als eine Marionette seine Macht missbraucht;

 

l dass sich im Islam alles um die beherrschende Macht Gottes gegenüber einem bedeutungslosen Menschen dreht. Stattdessen bezieht sich die häufige Betonung der göttlichen Macht im Koran in erster Linie auf Gottes Macht gegenüber feindlichen Mächten: zum Beispiel anderen angeblichen Gottheiten und Satan, die aus dem Wirkungsbereich des menschlichen Lebens ausgeschaltet werden müssen;

 

l aus der Beziehung rabb-ʽabd abzuleiten, dass der Mensch durch eine eigene Leistung Anspruch auf göttlichen Lohn bzw. göttliche Strafe erwirbt (Paradies/Hölle);

 

l dass der Islam eine Gesetzesreligion bzw. eine Religion der Werkgerechtigkeit im protestantischen Sinne sei. Das Gegenteil ist zutreffend: Islam ist eine Religion der Barmherzigkeit/raḥma;

 

l dass der Mensch als unfreies Wesen der beherrschenden macht eines Willkürgottes ausgeliefert ist;

 

l der Islam zu einer Prädestinationsreligion zu machen;

 

l aus dem Vertrauen des Menschen in den fürsorglichen Gott Passivität und mangelnde Verantwortung der Muslime für die Welt abzuleiten;

 

l aus einem unterstellten Herrn-Sklaven-Verhältnis dem Menschen die Verantwortung gegenüber der Mitschöpfung abzusprechen;

 

l dem Islam Sorglosigkeit gegenüber dem Phänomen Sünde/Böses zu unterstellen und zu behaupten, dass der Mensch ohne göttliche Hilfe durch eigene Kraft das Heil erreicht. Tatsache dagegen ist, dass jeder überzeugte Muslim sich ständig seiner eigenen Unzulänglichkeit Gott gegenüber bewusst ist.

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