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letzte Änderung 14.10.2009
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Dancing India

Dancing India

Das Tanzen ist tief in der indischen Kultur verwurzelt. Nach wie vor werden viele traditionelle Stile praktiziert - kunstvollste klassische Formen ebenso wie ausgelassene Volkstänze.
In den letzten Jahren bestimmt aber vor allem ein Schlagwort das Tanzgeschehen auf
dem Subkontinent: Bollywood.

Wohl kaum eine andere Kultur hat eine derart innige Beziehung zum Tanzen wie die
Indiens. Nach hinduistischer Vorstellung entspringt die Leidenschaft der Welt der Götter. Dort entfesselt das Tanzen kosmische Urgewalten, wenn Shiva in seiner Erscheinung als Nataraja, sich mit einer Trommel begleitend, das Universum erschafft oder zerstört. Es kann aber auch als tödliche Waffe dienen wie in der Sage von Krishna, in der er die tausendköpfige Schlange Kaliya bezwingt, indem er ihr im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Kopf herumtanzt. Oder es fuhrt zu tranceartigen Zuständen wie bei der Göttin Kali, die nach dem Sieg über den Dämon Raktavija im Blutrausch wild über das Schlachtfeld wirbelt. In der Welt der Menschen bemühte man sich, es den Göttern gleich zu tun. Man tanzte in den Tempeln, um ihnen zu gefallen und nahe zu kommen. Im Laufe der Zeit entwickelte sich auf diese Weise eine hochkomplexe Tradition der darstellenden Künste, die vor rund 2000 Jahren zum ersten Mal im sogenannten Naryashastra schriftlich festgehalten worden ist. Ausgehend von diesem Werk entwickelten sich unter anderem die acht klassischen Tanzstile Indiens.
Neben dieser sehr formalisierten Art der Darbietung, die nur durch intensives Training gemeistert werden kann, gibt es auf dem Subkontinent unzählige Volkstänze, Zu allen wichtigen Gelegenheiten wie Jahreszeitenwechsel, Geburten oder Hochzeiten pflegen die vielen Volksgruppen Indiens eigene Traditionen, mit der sie ihrer Freude durch Tanz Ausdruck verleihen.

Indien im »filmi«-Fieber

Bei dieser allgegenwärtigen Begeisterung in Indien, sich zu Musik zu bewegen, verwundert
es kaum, dass die indischen Filmindustrien - allen voran das hindisprachige Bollywood-Kino - seit ihren Anfängen Tanzszenen auf großen Leinwand präsentierten. Damals ahnte niemand, welch eine große Anziehungskraft diese Kombination entwickeln würde.
Heute sprechen indische Journalisten und Sozialwissenschaftler bereits von „Bollywoodisierung“ und meinen damit die Tatsache, dass die Glitzerwelt den Subkontinent fest im Griff hat. Dabei sind es vor allem die Tanznummern, die offenbar besonders Lust aufs Nachmachen wecken. Bollywood-Tanzschulen erleben in Indien momentan einen regelrechten Boom. Und nicht wenige der meist jungen Frauen und Mädchen, die sich in dem mitreißenden Choreografie-Mix aus klassischem indischen Stil sowie Jazz-, Hip-Hop. und Salsa-Tanz üben, hoffen insgeheim, mit den richtigen Schritten auch eine kleine Chance auf echten Starruhm zu ergattern.
Die Euphorie für »filmi« - der Begriff steht für all das, was bunte Bollywood-Tanznummern so unverwechselbar macht – hat längst alle Bereiche des Alltags durchdrungen. Von Hochzeiten und Partys über Schulfeste bis hin zu Betriebsfeiern: Es wird keine Gelegenheit ausgelassen, das Tanzbein zu den Melodien des neuesten Blockbusters zu schwingen.
Auch das indische Fernsehen hat das Thema Tanzen als Garant für hohe Einschaltquoten entdeckt, Innerhalb weniger Jahre sind Dutzende Tanzformate entstanden, darunter Publikumsrenner wie »Dance India Dance«, »Boogie Woogie« oder »Jhalak Dikhhla jaa«, bei dem Prominente zeigen müssen, wie es um ihr Talent bestellt ist. Begutachtet werden die Leistungen auf dem Parkett fast ausnahmslos von Profis aus Bollywood. Die Reaktionen auf den »filmi«-Trend fallen in Indien sehr unterschiedlich aus. Manche bedauern, dass im Gegenzug das Interesse an traditionellen Ausdrucksformen verloren geht. Andere beklagen, dass viele sinnlos der scheinbaren Perfektion der Leinwandvorbilder nachjagen. Aber es gibt auch positive Stimmen: Die Soziologin Patricia Uberoi hält Bollywood-Song-and- Dance für die einzige gemeinsame »Sprache« Indiens, die alle gesellschaftlichen und religiösen Barrieren überwindet.

Über alle Grenzen hinweg

Ob Uberois Einschätzung auflange Sicht zu halten ist oder dieser Trend über die Jahre verschwindet, bleibt abzuwarten. Fest steht aber schon heute: Für Bollywood-Tanz war es ein Leichtes, die Grenzen Indiens zu überwinden. Blockbuster aus Mumbai, Chennai und Co. werden bereits seit langem auch jenseits des Subkontinents gesehen. Immerhin wohnen rund 30 Millionen Inder über die ganze Welt verteilt, und Filme sind oft die einzige Möglichkeit, ein wenig Heimatgefühl in der Fremde aufkommen zu lassen. Trotzdem blieb Bollywood lange Jahre ein Geheimtipp für alle »Nicht- Desis«. Zum neuen Jahrtausend änderte sich diese Situation schlagartig. Indisches Kino wie das Epos »Devdas« sorgte zum ersten Mal seit langem auf großen Filmfestivals für Aufmerksamkeit und eroberte kurz darauf den internationalen Markt. Die allermeisten Bollywood-Neueinsteiger waren vor allem von den atemberaubenden Tanznummern beeindruckt. Und viele von ihnen wollten sich nicht mit dem bloßen Zusehen begnügen - sie zog es selbst auf die Tanzfläche. So schossen in den USA und vielen europäischen Ländern die Bollywood-Tanzschulen wie Pilze aus dem Boden.

Saif can't dance

Auch im Ursprungsland Indien hält das »filmi«-Fieber unverändert an. Doch zuweilen scheinen die Superstars ihre liebe Mühe zu haben, den hohen Erwartungen an die neusten Bollywood-Choreografien gerecht zu werden: Ganze 45 Mal musste Saif Ali Khan beim Dreh seines neuen Hits »Love Aaj Kal« die von ihm verlangten Schritte wiederholen, bis sie endlich im Kasten waren. Angesichts dieses bescheidenen Auftritts blieb ihm nichts anderes übrig, als die ernüchternde Wahrheit offen auszusprechen: »Ich bin ein miserabler Tänzer«.



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