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letzte Änderung 06.01.2009
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So cool kann das Leben in Teheran sein*NEU*


Von Guy Helminger 14. April 2007

Der Iran ist anders, als man denkt. Das Mullah-Regime vermittelt ein falsches Bild. Die Bevölkerung ist offener, friedseliger - und auf der Suche nach westlichen Gütern. Der Schriftsteller Guy Helminger hat Teheran besucht. Und dort viel Bier getrunken.

"Wohin willst du?“, fragte mich ein Bekannter mit Betonung auf der ersten Silbe, während sein Gesicht von unsichtbarer Hand zerknittert wurde.„Nach Teheran“, antwortete ich.
Er schüttelte den Kopf, bestellte ein Bier, das er mir mit den Worten: „Vielleicht dein letztes“ über die Theke schob.






Es gibt Wodka, Whisky, Wein und Weißbier:

Es war aber nicht mein letztes. Im Gegenteil, in der Metropole der Abstinenzler waren die Bars in jedem Haushalt so gut bestückt, dass ich ins Grübeln kam und irgendwann einen der Gastgeber fragte, wie er an all den Wodka, Whisky, Wein und an das Erdinger Weißbier kam. Er dachte einen Moment lang nach, als habe er sich die Frage noch nie gestellt, ehe er sagte: „Ich gehe davon aus, dass die Regierung den Schmuggel organisiert.“

Teheran ist voller Hochhäuser, wird von Autobahnbrücken zerschnitten und sieht auf den ersten Blick einigen anderen Riesenstädten ähnlich, in denen man nicht wohnen möchte. Während an der Peripherie im Süden Einwanderer illegale Siedlungen hochgezogen haben, stehen im reicheren Norden neben kleinen, viereckigen Kästen protzige Villen, die man durch einen Säuleneingang betritt oder Apartmenthäuser, deren jeweilige Wohnflächen 250 Quadratmeter und mehr betragen.

Dabei steigen die Mieten jährlich um bis zu 20 Prozent, und der Quadratmeterpreis entspricht dem von Köln. Diejenigen, die drei Jobs gleichzeitig machen und mit dem verdienten Lohn gerade einmal über die Runden kommen, wohnen hier natürlich nicht. Und viel lässt einen auch nicht an eine islamische Republik denken. Weder gibt es hier unzählige Moscheen, die ins Auge stechen würden, noch ist der Ruf der Muezzine zu hören.







Hier könnte auch Berlin-Kreuzberg sein:

Bis ich meinen ersten Mullah sah, verging immerhin eine ganze Woche. Einige Frauen tragen den Tschador, aber die meisten haben ihr modebewusstes Kopftuch leger über die Haare geworfen, sind stark geschminkt und tragen westliche Jacken und Mäntel. Wären da nicht die Schilder und Hinweise in Persisch, die Kreuzung neben dem Bazar in Tajrish könnte auch in Berlin-Kreuzberg sein.

Es gab allerdings direkt nach meinem Eintreffen eine Warnung, wie sie jedes Mal kommt, wenn der Frühling naht. Die oberen Wächter ließen verkünden, dass es bald wieder vorbei sei mit diesen teuflischen Reizen. Es werde wieder aufgeräumt und darauf geachtet, dass alle fortan ordentlich gekleidet seien und durch ihr Benehmen nicht der Prostitution Vorschub leisteten.

Den Jugendlichen ist das egal. Sie gelen sich die Haare hoch oder lassen sich Matten wachsen wie Johnny Depp in seinem Piratenfilm, tragen T-Shirts mit den Namen von amerikanischen Bands, und die Pärchen laufen trotz Berührungsverbot Hand in Hand durch die Straßen. Wie lange das so gehen wird, bevor das Regime wieder reagieren wird, kann niemand voraussagen. Willkür ist eine Strategie der Ordnungsmiliz, und die Jugendlichen wissen, dass selbst das Tragen einer Baseballkappe sie in Schwierigkeiten bringen kann.







Die Güte Allahs ist weit weg:


Aber die meisten von ihnen haben mit Religion sowieso nichts mehr am Hut. Aufgewachsen unter der islamischen Staatsdoktrin, fühlen sie mehr die Restriktionen und Verbote als die Güte Allahs. Im Iran sprechen die Intellektuellen bereits von der Religionsflucht einer ganzen Generation.

Die Regierung, die keine Möglichkeit der Vermittlung zwischen Islam und Westen sieht und die konsequent nur zwischen einem gesunden, gläubigen Muslim und einem kranken, geistig zersetzten Anhänger der westlichen Kultur unterscheidet, hat jahrelang auf öffentliche Prügelstrafen, Auspeitschen, Gefängnis gesetzt, wenn es darum ging, die eigenen Kinder wieder nach Hause zu holen. Das Resultat dieses Versuches einer streng geschlossenen Gesellschaft ist, dass zumindest in den Städten die Menschen immer offener und klarer ihren Unmut formulieren.

In den Wochen, in denen ich durch die Straßen Teherans spazierte, täglich eine mächtige Smogkuppel über mir, wurde ich immer wieder von Menschen angesprochen, die mir einfach nur mitteilen wollten, dass sie nicht mit ihrer Regierung einverstanden sind. Eine ältere Dame fragte mich, was der erste Eindruck sei, den ihr Land auf mich mache. Ich sagte, dass alle sehr freundlich seien, und ich wirklich das Gefühl hätte, willkommen zu sein. „Ja“, sagte sie, „das ist eine alte persische Tugend. Und die nimmt uns niemand!“ Sie habe noch die Schahzeit miterlebt, erzählte sie. „Da war auch nicht alles schön, aber das da ...“ Sie zeigte auf ihr helles, geblümtes Kopftuch und verdrehte die Augen. Dann wünschte sie mir alles Gute und bat mich, zuhause zu erzählen, dass die Iraner gute Menschen sind.








Witze über Präsident Ahmadinedschad:



In Isfahan legte mir ein etwa fünfzigjähriger Mann die Hand von hinten auf die Schulter und erklärte mir aufgeregt und in gebrochenem Englisch, dass ich seinem Volk helfen müsse. Er wisse nicht, ob ich Journalist sei, aber ich solle in den Zeitungen meines Landes schreiben, dass niemand im Iran dieses Mullah-Regime möge, das müsse ich ihm versprechen. Sie wollten nicht, dass die Amerikaner ihr Land bombardierten, das auf keinen Fall, sie hätten genug Krieg gehabt in den letzten Jahren, aber der Westen müsse ihnen helfen. Andere begnügten sich damit, mir Witze über den Präsidenten zu erzählen.

Die Diskrepanz zwischen Doktrin und Alltag, zwischen dem, was Menschen in Teheran privat leben und dem, dem sie sich offiziell zu fügen haben, könnte nicht größer sein. Ein Unterschied, der auch in der Bebilderung der Hauptstadt zu sehen ist. Fährt man über eine der Autobahnen, begegnet man auf Schritt und Tritt Werbung, meistens für Artikel aus dem Westen. Überdimensionierte Mobiltelefone stehen auf Gerüsten, eine dampfende Kaffeetasse wirbt für Jacobs Krönung. Überall schüren Plakate Wünsche, die man noch nie hatte.

Neben diesen herkömmlichen Reklameschildern, wird massiv für den Islam geworben, für den Märtyrerkult. Sprüche gegen den Feind flammen auf Mauern, die Freiheitsstatue mit Totenkopf sehe ich, Israel wird verflucht, der konsumorientierte Westen. Unzählige Hausfassaden zeigen die Gesichter gefallener Revolutionäre. Kitschige Bilder voll mit Rosen und Schmetterlingen dienen der Verherrlichung ihrer Kriegstaten, weinende Mütter, Waffen; die verordnete Erinnerung an die Revolution, an den Krieg, an die jüngste Vergangenheit ist so präsent wie die Autostaus, in denen die Einwohner ihre Freizeit verbringen.





Ohne Wut, ohne Aggression, ohne Fanatismus:


Trotzdem herrscht auf dem Friedhof der Märtyrer, den ich mit meinem iranischen Schriftstellerkollegen Amir Cheheltan besuche, eher eine familiäre Atmosphäre. Natürlich trauern die Angehörigen um die Hunderttausende, die meistens jung ihr Leben gelassen haben und an die nun Fotos und andere Dinge in den Glasvitrinen, die hinter den Grabplatten stehen, erinnern. Aber hier herrscht keine Wut, keine Aggression, schon gar kein Fanatismus, vielmehr trinken die Menschen Tee, ruhen sich auf Bänken aus und bieten auch mir, dem Fremden, zu essen an, damit die Seelen ihrer Toten Nahrung erhalten. Fotos solle ich machen, sagt ein Mann, die Erinnerung helfe ab und zu, Dinge in Zukunft zu vermeiden.

Teheran ist keine Stadt aus 1001 Nacht, auch wenn an den Verkaufsständen und in den Bazaren grelle Lampen die Waren erhellen und man fast geblendet durch die Gänge läuft. Teheran ist auch nicht die Stadt, in der aufgebrachte Schiiten mit verzerrten Gesichtern im Namen ihres Gottes den Feind verfluchen, es sei denn, die Regierung hat eine Hundertschaft auf irgendeinen Platz bestellt und das staatliche Fernsehen verzichtet auf das Weitwinkelobjektiv – sonst würde man neben dem Koran schwingenden Grüppchen die Einwohner der 14 Millionen Metropole sehen, die offensichtlich das Shoppen der religiösen Inszenierung vorziehen.

Nein, Teheran hat viele Farben, freundliche Gesichter, Teheran ist hilfsbereit und unverhüllt. Und wenn am Morgen der Smog noch nicht aus dem Bett gekommen ist, erheben sich im Norden die verschneiten Gipfel des Elburzgebirges wie ein Ausblick auf eine weltoffene Zukunft. Jugendliche, die ich fragte, was sie von ihrer Stadt halten, fanden sie cool. Man könne alles hier machen, sagten sie, jeden Film sehen, jede Musik hören¿ Zwar hätten sie keine Discos, wo sie Mädels oder Jungs kennenlernen könnten, aber dafür gäbe es die Shopping-Malls, wo sie sich zwischen den Auslagen treffen und Telefonnummern austauschen könnten, während sie so täten, als ob sie sich für die Klamotten interessierten.







Drei Viertel des Volkes sind Jugendliche:



75 Prozent der Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt, und diese Jugend hat keine Angst, diese Jugend ist überzeugt, dass sich etwas ändern wird. Trotzdem würden viele von ihnen gern einmal nach Deutschland kommen, weil Deutschland, wie Mohsen, ein IT Student, es formulierte, das beste Land der Welt ist.

„Aha?“ hakte ich nach, „was ist denn dort so gut?“

„Alles“, antwortete er. Und als ich wieder nachfragen wollte, schüttelte er den Kopf und wiederholte: „Alles!“

War es Zufall? Jedenfalls hing im Taxi, das mich nach dem Gespräch mit Mohsen zurück ins Archäologische Institut brachte, wo ich wohnte, eine deutsche Fahne vor der linken Seitenscheibe, während aus den Boxen ein HipHop-Song zu hören war: Zeilen abwechselnd in Deutsch und Farsi. Vorsichtig fragte ich den Fahrer, wieso er die deutsche Fahne in seinem Wagen aufgehängt hatte. Er blickte in den Rückspiegel und rief: „Na, weil Deutschland das beste Land der Welt ist.“
Ich fragte nicht mehr, warum er das glaube, hörte mir die Musik an, diese Sprachmischung, dieses Zusammenwürfeln der Kulturen, von dem ich abwechselnd einen Teil verstand und einen Teil nicht. Vielleicht habe ich dabei mit dem Kopf genickt, keine Ahnung, jedenfalls reichte mir der Fahrer beim Aussteigen die Kassette mit den Worten: „Die schenke ich dir. Da können die da oben machen, was sie wollen, wir verstehen uns.“

Der Lyriker und Romancier Guy Helminger, 1963 in Esch-sur-Alzette (Luxemburg) geboren, seit 1985 in Köln wohnhaft, reiste im Februar/März im Rahmen des Projekts „Westöstlicher Diwan“ nach Teheran.